In den ersten drei Beiträgen zum Bürgerticket haben wir uns mit dem schamhaft versteckten Zwangscharakter des Tickets beschäftigt sowie damit, daß der Vorschlag der WSW AG gerade recht kommt; wir haben einen Blick auf die Einnahmenseite geworfen und festgestellt, daß 7,5 Millionen Euro an Kosten im Konzept einfach vergessen wurden. Hier nun wollen wir uns mit den Zielen des Konzepts befassen. Dazu verwenden wir Aussagen des Konzepts und stellen dem einen Kommentar gegenüber.

Die Argumente im Einzelnen

„Ein besserer ÖPNV ist gut für die Wuppertaler Luft.“

Stimmt nicht. Nur ein häufiger genutzter ÖPNV nutzt der Luft. Die häufigere Nutzung kann man aber nicht befehlen, man kann sie nur anregen. Dazu müßten Schwächen des derzeitigen ÖPNV abgebaut werden. Voraussetzung für den Abbau ist, daß die Schwächen überhaupt abbaubar sind. Der ÖPNV derzeit ist relativ günstig und keineswegs so schlecht ausgebaut, wie die Autoren des Konzepts uns glauben machen wollen. Ihre Verbesserungsvorschläge zeigen das: Ausbau nachts und engerer Takt in einem eng umgrenzten Zeitraum sind die relevantesten Vorschläge. Wir wagen die Aussage: Wem der ÖPNV nutzt, der nutzt ihn auch jetzt schon. Wem er nicht nutzt, der wird ihn auch in Zukunft nicht gebrauchen, weil er eben ein individuelleres Angebot nutzt, den PKW: Für die schnelle, spontane Fahrt ohne Warte- und Umsteigezeit, für den Wocheneinkauf, für größere Transporte überhaupt etc. Und wenn er dann feststellt, daß er nur solche Fahrten hat, besteht kein Grund, am ÖPNV teilzunehmen. Das wird sich auch mit einer Zwangsabgabe nicht ändern. Für die beschriebenen Fahrten wird der PKW gebraucht, auch wenn sein Gebrauch für den 2-Personen-Haushalt 1.200,- Euro jährlich teurer wird.

„verringert den Flächenverbrauch“

Stimmt nicht. Straßen müssen in dem Umfang vorgehalten werden, wie sie bestehen.

„hilft, den Klimawandel zu bewältigen. Wir gehen davon aus, dass das Solidarische Bürgerticket das Potential hat, die CO2-Emissionen in Wuppertal um 16-20% zu senken. Außerdem können Stickstoffoxidemissionen (NOx) in Höhe von 7-20% weniger emittiert werden und 17-29% weniger Partikelemissionen (Feinstaub). Wir schätzen, dass es Verkehrsverlagerungen auf den ÖPNV in Höhe von 25% vom PKW, 5% vom Fußverkehr und 10% vom Radverkehr geben wird.“

Stimmt allenfalls, wenn der ÖPNV häufiger genutzt wird. Die Schätzungen sind Prognosen, und deren Schwierigkeit besteht darin, daß sie die Zukunft betreffen. Ehrlich wäre zu sagen, daß es bei einem Pilotprojekt wie diesem keine seriösen Vorhersagen geben kann, nur Wunschvorstellungen.

Aber schauen wir uns die Berechnungen mal an: Der Verkehr ist in Deutschland zu etwa 18-20% für Treibgasemissionen (vor allem CO2) zuständig, seit Jahren nahezu unverändert. Das Konzept will die Gesamt-CO2-Emissionen in Wuppertal um 20% zurückfahren, nur mit dem Bürgerticket. Das würde nur funktionieren, wenn der Verkehr insgesamt gar keine Emissionen mehr ausstoßen würde. Da aber selbst Stromverbrauch zu Emissionen führt, wäre selbst bei einer kompletten Umstellung auf Elektro-Antrieb das Ziel nur zu erreichen, wenn der Verkehr zum Erliegen käme. Kann also gar nicht stimmen.

„Unser Finanzierungsinstrument ermöglicht allen Mitbürger*innen, in Wuppertal mobil zu sein“

Stimmt nicht und ist Unsinn. Mobilität gibt es jetzt schon und ist auch recht erschwinglich. Bis auf wenige sozial ganz Schwache, denen mit einem Sozialticket im nach den dafür in den Hartz-IV-Sätzen vorgesehenem Umfang besser geholfen wäre als mit einem Wechsel des kompletten Systems.

„ist ein Ausdruck gesellschaftlicher Solidarität“

Stimmt nicht. Das ist einfach eine unsinnige Leerformel. Klingt aber gut. Gemeint ist: Auch wem der ÖPNV nicht nutzt, soll dafür zahlen. Auch wenn die Ziele nicht oder nicht annähernd erreichbar sind. Gesellschaftliche Solidarität wird bei der Finanzierung des ÖPNV bereits jetzt gezeigt. Denn im Querverbund zahlen die Kunden aus den profitablen Bereichen der WSW AG (egal, ob sie den ÖPNV nutzen) für den ÖPNV, gemeinsam mit dessen Nutzern.

„ermöglicht darüber hinaus die Verwendung der Mittel des steuerlichen Querverbunds in Höhe von ca. 50 Mio. € zum Wohl von Stadt und Stadtwerken.“

Stimmt so nicht. Wir haben im dritten Teil gezeigt, daß 7,5 Millionen Steuern an- und für die Verwendung im Sinne der Stadt wegfallen. Außerdem behaupten die Autoren des Konzepts selber, daß die Gewinne der WSW AG wegbrächen und daher der Querverbund schon finanziell nicht mehr zu halten sei. Dann sind aber die Summen wesentlich kleiner. Dem Konzept ist hier vorzuwerfen, daß es absichtlich die Vorteile für Stadt und WSW AG höher ansetzt, als sie nach den eigenen Voraussagen sind – mal abgesehen von dem groben handwerklichen Schnitzer mit der Vernachlässigung der Steuerpflichtigkeit von Gewinnen.

„der gesamtwirtschaftliche Nutzen des Solidarischen Bürgertickets (Aufwand = 163 Mio. €) (liegt) bei mindestens 648 Mio. €. Dieser Wert kommt der Stadt Wuppertal und ihren Bürger*Innen zu gute.“

Stimmt gar nicht und diese Rechnung ist von einer volkswirtschaftlichen Schlichtheit, die nachgerade fassungslos macht. Der Aufwand wird doch schätzungsweise bereits jetzt in vollem Umfang getrieben. Denn: Der gesamtwirtschaftliche Nutzen fällt bei jedem Aufwand an, egal ob freibestimmt oder als Folge einer Zwangsabgabe. Nur ohne Zwangsabgabe bestimmen die Bürger selbst, ob sie einen Restaurant- oder Zoo- Besuch machen, ob sie Kleidung, ein neues Sofa oder eine Flasche Sekt kaufen. Der Effekt der Ausgabe ist aber derselbe! Und das allermeiste davon dürfte in Wuppertal ausgegeben werden; die 7,5 Millionen Steuern, die das Konzept vergessen hat, aber schon mal auf gar keinen Fall – die gingen auf jeden Fall nach Berlin. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen wird also bereits jetzt in Wuppertal verwirklicht, da braucht man kein Bürgerticket für!

„Durch den Entfall des steuerlichen Querverbundes wird aus dem bisherigen Defizit der WSW mobil GmbH ein Gewinn der WSW in Höhe von ca. 50 Mio. €. Diese Summe soll dazu eingesetzt werden, die WSW konkurrenzfähig zu machen, Energiepreise zu senken und in den städtischen Haushalt investiert werden. Sofern es sinnvoll ist, kann das Modell des steuerlichen Querverbundes auch mit anderen, weniger kostenintensiven Sparten, z.B. den städtischen Schwimmbädern, fortgeführt werden. Der städtische Haushalt wird dadurch dauerhaft entlastet und die Stadt Wuppertal kann endlich wieder in ihre Zukunft investieren.“

Stimmt so nicht. Wie gezeigt verringert sich wegen Steuern der Effekt auf 85% des Gewinns. Der WSW AG entgeht zudem noch Gewerbesteuer, die aber ausschließlich der Stadt zugutekommt, also für Wuppertal nicht verloren ist, nur den Spielraum der WSW AG beschränkt.

Ein Weiteres: Soll der solidarische Effekt des Tickets jetzt bedeuten, daß die ÖPNV-Benutzer die Energie-Nutzer subventionieren, wenn deren Preise gesenkt werden sollen?

Der Querverbund mit den Schwimmbädern ist praktikabel, führt aber (die meisten sind ja schon geschlossen) zu keinen größeren Effekten. Jedoch ergibt sich in der Tat eine Entlastung für den städtischen Haushalt. Typisch allerdings, daß gleich wieder investiert werden soll, also ausgeben, ausgeben, ausgeben. Der städtische Haushalt wird aber durch die Schulden erstickt, und die müssen zurückgeführt werden. Davon kein Wort im Konzept – also wie wir in Teil 3 – Die Einnahmen – geargwöhnt hatten. Es bleibt festzuhalten: Das Bürgerticket wird generell auf die eine oder andere Weise dem städtischen Haushalt nutzen.

„Durch eine Steigerung des Anteils des ÖPNV an den Verkehrswegen (Ziel = 33%) wird der städtische Haushalt im Bereich des Unterhalts für Straßen und Verkehr entlastet. Über die Höhe ist uns keine seriöse Schätzung möglich.“

Eine seriöse Schätzung ist unmöglich, also kann nicht gesagt werden, ob der Haushalt überhaupt entlastet wird. Ist also reine Wunschvorstellung – die Behauptung stimmt nicht.

„Die Verlagerung von PKW-Verkehr auf den ÖPNV ermöglicht die Nutzung von Parkflächen durch die Umwelt, sei es menschlicher Aufenthaltsraum oder natürlicher Lebensraum, z.B. für Straßenbäume, die das Lokalklima in den Straßenzügen zum Positiven verändern.“

Das ist ein zu vernachlässigender Umstand und stimmt so nicht. Den schmalen Parkstreifen sinnvoll für den menschlichen Aufenthalt zu nutzen, dürfte eine bedeutende Herausforderung werden. Zudem kann man doch nicht auf jedem Zentimeter Bäume oder Hecken pflanzen.

„Durch einen erhöhten Anteil des ÖPNV – und idealer Weise auch des gesamten Umweltverbundes – an den Verkehrswegen, durch eine stetige Modernisierung und Dekarbonisierung der Busflotte wird der Anteil der Stickoxide, des Feinstaubs und des CO2-Ausstoßes massiv gesenkt. Die Luft in unserer Stadt wird gesünder, angenehmer und die Menschen werden länger leben. Wir verhindern einen lebensfeindlichen Anstieg der Erderwärmung durch den Klimawandel in Verbindung mit anderen Maßnahmen des Klimaschutzes.“

Stimmt so nicht. Der Gesamtanteil des Verkehrs an den Emissionen beträgt nur 15-20%. Da kann man nichts „massiv“ senken, wenn zudem der gesamte gewerbliche Verkehr (Handwerker, Postzusteller) gar nicht betroffen ist. Allein der Güterverkehr ist für ein Viertel aller Emissionen verantwortlich, das also durch das Bürgerticket völlig unangetastet bleibt. Das ist quasi der Emissionssockel. Gerade innerstädtisch ist der sonstige gewerbliche Verkehr beachtlich und dürfte auf den einen Anteil von mindestens 15% kommen. 40% der Emissionen sind also gar nicht betroffen! Nach eigenen Angaben rechnet man mit Verlagerungen vom PKW von 25% (völlig ohne Erfahrungen in der Realität), um mehr sinkt die Emission also nicht. 25% von 60% des Kraftfahrverkehrs macht 15% – das nennen wir nicht „massiv“, zumal die Zahl eben nur geraten ist und der Anteil des Verkehrs an der Verursachung von Emissionen nur 20% beträgt.

Wir reden also über einen Gesamteffekt von 20% von 15%, also 3%! Dabei ist der Anstieg der Emissionen durch einen erweiterten ÖPNV noch nicht einmal gegengerechnet. Und ob der Anstieg der Erderwärmung (das ist eine Doppelung – Erwärmung bedeutet schon eine Erhöhung der Temperatur, und diese Erwärmung nimmt in den letzten Jahren seit 2002 nicht zu, sondern ab: die Formulierung führt also in die Irre!) überhaupt lebensfeindlich wird, ist keineswegs ausgemacht, zumal die Verantwortung des Menschen dafür mindestens strittig ist. Es handelt sich hier um das sattsam bekannte Framing, es sollen Ängste geschürt werden. Dem Konzept ist also Unsachlichkeit vorzuwerfen.

„Weniger geparkter Individualverkehr macht unsere Straßen sicherer, gerade für die Kinder in unserer Stadt. Bessere Sichtverhältnisse, weniger Stress und Investitionen in die Verkehrssicherheit sollen dafür sorgen, dass in unserer Stadt niemand mehr im Straßenverkehr sterben muss. (Vision Zero)“

Welche Investitionen in die Verkehrssicherheit das sein sollen, bleibt der Text schuldig, und ob schlechte Sichtverhältnisse für Unfälle verantwortlich sind, erscheint uns doch im Einzelnen recht fraglich. Wolkig und unkonkret, eher populistisch, diese Argument.

„Im Name des Bürgertickets steht das Wort „Solidarisch“ ganz bewusst an erster Stelle. (…) Das Solidarische Bürgerticket ermöglicht Mobilität für alle Einwohnenden in Wuppertal. Das bedeutet nichts Geringeres als die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Aktivitäten für Rentner*innen, Arbeitslose und wirtschaftlich schwache Menschen. Wir schließen diese nicht von der Mobilität aus, sondern schließen sie ein. Mobilität bedeutet Arztbesuche, Amtsgänge, Teilnahme an Bürgerbeteiligungsformaten, Freizeitaktivitäten und Anreise zu Bildungsstätten wie der Volkshochschule und der Junior Universität. Mobilität bedeutet Verwandtenbesuche, Krankenbesuche, Arbeitswege, die Wahrnehmung von Praktika und der Besuch von Veranstaltungen aller Art. Mobilität bedeutet auch Konsum und Inanspruchnahme von Dienstleistungen in Wuppertal. Darüber hinaus bedeutet Solidarität für uns, unseren Kindern und Kindeskindern eine lebenswerte, klimaschützende und nachhaltige Stadt als Lebensraum zu hinterlassen. Wir wollen eine kindergerechte Stadt.“

Diese Formulierungen sind so gehalten, daß niemand etwas daran kritisieren kann. Sie sind aber ungeeignet, gerade die beabsichtigte Form der Finanzierung durch eine Zwangsabgabe zu begründen. Sie lenken davon ab, daß die beschriebenen Effekte auch beim derzeitigen ÖPNV bestehen, der zweifellos Arztbesuche und Freizeitaktivitäten genauso ermöglicht. Die Kindergerechtigkeit hat erst einmal auch nichts mit Klimaschutz zu tun. Es wird so getan, als ob alle diese schönen Ziele nur mit einer Zwangsabgabe zu erreichen wären, typisch bevormundendes Nudging und Framing (Begleitung durch positiv besetzte Begriffe, die von der eigentlichen Argumentation ablenken sollen). Als Argumentation also wertlos.

Fazit

Wir haben 13 Argumentationsstränge ausgemacht und angesprochen.

Zehn der Argumente stimmen nicht oder wesentlich nicht oder die Berechnungen dazu sind falsch oder vernachlässigen wesentliche Punkte. Zwei der Argumente sind wolkig oder betreffen zu vernachlässigende Aspekte. Ein Argumentationsstrang ist so allgemein gehalten, daß es eher als Ablenkung unter Verwendung hehrer, aber unspezifischer Ziele anzusehen ist.

Was bleibt, ist:

Man kann eine nicht zu berechnende Verringerung von Emissionen erwarten, falls Menschen nach der Einführung des Bürgertickets ihren PKW stehenlassen und mit Bus oder Bahn fahren. Ob sie das tun und wie oft, weiß man nicht. Eine Verringerung von Schadstoff-Emissionen ist grundsätzlich zu begrüßen, angesichts der in den letzten Jahren schon stetig sich verbessernden Luftqualität muß man aber hier nicht mit alarmistisch/hektischen Aktionen vorgehen. Der Effekt auf die Umwelt ist also gering.

Wenn die Bürger zusätzlich zu dem bereits jetzt gezahlten Anteil an der Finanzierung auch noch das von der WSW AG getragene Defizit übernehmen, wird im Endeffekt das städtische Vermögen ganz allgemein entlastet. Sei es, daß sich die in städtischen Eigentum stehende WSW AG und ihr Aufsichtsratsvorsitzender Dietmar Bell MdL (SPD) zur Abwechslung einmal eine lohnende Investition aussuchen, sei es, daß über eine Gewinnausschüttung der städtischen Haushalt profitiert oder sei es, daß er durch eine Auslagerung defizitärer Einrichtungen wie der Schwimmbäder in den Querverbund entlastet wird. Die Einführung des Bürgertickets würde also durchaus einen beachtlichen Effekt auf die Haushaltslage der Stadt haben.

Anderes geben die untersuchten Argumente nicht her. Wir hätten doch mehr erwartet.