Um es vorwegzunehmen: Ich finde es schade, daß Sie es vorgezogen haben, mein Haus zu beschädigen, anstatt mit mir zu reden. Ich finde es schade, daß Sie mir vorwerfen, Rassist zu sein; weil Sie sich nicht vorstellen konnten, es könne etwas anderes dahinterstecken, wenn mich eine „Flüchtlingskrise“ besonders beunruhigt.

Das tut es nämlich, und ich möchte es Ihnen erklären. Ich bin Jurist, und als solcher hat man ein besonderes Verhältnis zum Staat. Denn es ist der Staat, dessen Rechtsordnung man verinnerlicht, um daraus seine Lebensgrundlage zu machen. In aller Regel lernt man im Studium nur eine Rechtsordnung, die des eigenen Staates. Und unser Staat will ein Rechtsstaat sein, auch in Abgrenzung zu einem deutschen Staat, der faschistisch war und eben kein Rechtsstaat. Ich denke, das werden Sie genauso begrüßen wie ich.

Nun lernt man als Jurist schon ganz zu Anfang im Studium, was der Staat ist. Das Fach heißt „Allgemeine Staatslehre“. Und ein Staat wird danach definiert durch Staatsgebiet, Staatsmacht und Staatsvolk.

„-macht“ und „-volk“ mögen Ihnen nicht besonders gut in den Ohren klingen, aber selbst den antifaschistischsten Menschen sind noch keine besseren Begriffe dafür eingefallen. Ein Hinweis noch: Das Staatsgebiet wird durch die Grenzen bestimmt.

Bei den Ereignissen im zweiten Halbjahr 2015 waren nun alle drei Merkmale des Staates betroffen.

Die Bundeskanzlerin hatte beschlossen, die Grenzen zu öffnen und gesagt, sie seien überhaupt auch in anderen Fällen gar nicht zu schützen: Damit war das Staatsgebiet betroffen, ich sage: Es war aufgegeben.

Und wenn die Bundeskanzlerin erklärt hatte, sie sei außerstande, das Gebiet zu schützen, dann ist die Staatsmacht betroffen, zu deren wichtigsten Aufgaben es gehört, den Staat und auch seine Grenzen zu schützen.

Schließlich kam mehr als eine Million Menschen, von denen schon von Beginn an klar war, was jetzt eine Umfrage festgestellt hat: Fast alle wollen bleiben. Wer wollte es ihnen verdenken, wo wir doch hier einen sicheren demokratischen Sozial- und Rechtsstaat haben. Aber damit einher geht eine Veränderung des Staatsvolkes, und damit ist auch das dritte Merkmal betroffen.

Wenn es wie gezeigt um alle drei Staatsmerkmale geht, dann liegt es nahe, daß es ums Ganze geht. Und wenn alle drei Merkmale in Frage gestellt sind, dann ist das Ganze in Frage gestellt: unser sicherer demokratischer Sozial- und Rechtsstaat. Und dann kann man als Jurist (und nicht nur als Jurist!) mit einer besonderen Einstellung zum Staat schon mal, salopp gesagt, „Schluckauf“ bekommen. Wenn dann noch dazukommt, daß die Beschlüsse, mit denen das Ganze umgesetzt wurde, auf der Meinung eines einzelnen Menschen beruhen, wird das Unbehagen des demokratischen Juristen noch größer. Denn wenn es ums Ganze geht, dann sollte doch der Wille des Staatsvolkes auch berücksichtigt werden. Nicht unbedingt so, daß es jetzt eine Volksabstimmung gegeben hätte, dazu wäre die Zeit wohl zu kurz gewesen. Aber man hätte doch den Bundestag fragen müssen, und für Demokratie und gegen Herrschaft von Einzelnen oder Wenigen sind Sie doch auch! Kam Ihnen die Situation nicht auch wenigstens problematisch vor? Wo Sie doch so antifaschistisch sind?

Und so wurde aus der Flüchtlingskrise für mich eine Staatskrise und eine Demokratiekrise, und die Krisen hätte man eben nicht damit gelöst, daß auf Flüchtlinge geschossen worden wäre. Das war mir schon klar, das wollte ich nie und wird auch vom Gesetz nur in Extremstfällen – um die es bei Flüchtlingen eher nicht geht – erlaubt (wo ich doch Jurist bin).

Gegen die Handlungen, die da zu den beschriebenen Krisen geführt haben, hat sich nur eine einzige Partei gestellt. Die Partei, die schon gegen den Euro ist, weil er für die Menschen eben schädlich ist (schauen Sie sich die Jugendarbeitslosigkeit am Mittelmeer an!). Die Partei, die gegen das Herumeiern in der Griechenlandkrise ist (schauen Sie sich das griechische Volk an, das fremdbestimmt ist und arm gemacht wird!). Und da bin ich dann eingetreten. Überrascht Sie das jetzt?

Mit rassistisch motivierten faschistischen Gewaltphantasien hat also mein Parteieintritt gerade nicht zu tun. Schade, daß Sie sich zumindest diese Möglichkeit nicht haben vorstellen können. Schade, daß Sie nicht einmal gezweifelt haben. Schade, daß Sie nicht das Gespräch gesucht haben, um sich zu vergewissern. Das tut man nämlich eigentlich als Antifaschist.

Aber kein Vorwurf! Sie haben nämlich meiner Sache durchaus nicht geschadet. Denn der Anschlag – Ihr „Besuch“ – trägt mir zwar keine politische Zustimmung ein, aber Solidarität und Mitgefühl. Und stellt mich eben nicht ins Abseits, wie Sie beabsichtigt haben. Das betrifft sogar die Dame, deren Auto vor unserem Haus stand und das ebenfalls beschädigt wurde, ohne daß sie irgend etwas mit mir zu tun hätte. Es sprechen mich, auch wenn ich an der Hauswand den Schaden behebe, viele Leute an, die ich gar nicht kenne. Und sie sagen, daß sie mir politisch nicht zustimmen, das Ganze aber eine Sauerei ist. Das sagt auch der Kirchenkreis, mit dem ich bekanntermaßen in einer heftigen Auseinandersetzung stehe – wodurch Sie wohl auf mich aufmerksam geworden sind. Wer mich kennt, weiß sowieso, daß ich kein Rassist bin, selbst die, die mich politisch bekämpfen. Diese Beschuldigung war auch, ehrlich gesagt, das Letzte, womit ich gerechnet hatte.

Was ich Ihnen aber sehr, sehr übel nehme, ist, daß Sie bedenkenlos und rücksichtslos meine Kinder in Gefahr gebracht haben. Das Fenster, das zu Bruch gegangen ist, hätte zu einem Kinderzimmer gehören können, und die Kinder hätten verletzt werden können. Sind Sie so verroht, so ohne Mitleid, so ohne Rücksicht?

Sie haben sich mit diesem feigen Anschlag keinen Dienst erwiesen. Sie haben politisch keinen Schaden für mich angerichtet, aber Ihr Ansehen und das Ihrer Sache ist in der Bevölkerung beschädigt. War es das wert?

Wenn Sie sich also auf demokratische Mittel zurückbesinnen (Demokratie ist doch Antifaschismus genug!), tun Sie sich vor allem selbst einen Gefallen. Und denken Sie um Himmels willen in Zukunft an die Kinder!

Hartmut Beucker