Seit vorgestern fühle ich mich erleuchtet. Endlich weiß ich, der sich seit Anbeginn der AfD mit Identitätsproblemem quält, wo ich hin gehöre und mich einzuordnen habe, denn ich bin des Heils der Offenbarung teilhaftig geworden: Ich bin ein Nazi. Halleluja!

Nicht, weil ich der nationalsozialistischen Ideologie anhängen würde. Die geht mir, offen gestanden, am Arsch vorbei. Auch nicht, weil ich ein überzeugtes Mitglied der AfD bin. Als solches werde ich zwar auch immer wieder gern als Nazi bezeichnet, aber so richtig begründen konnte das dann doch keiner. Das hat mich dann immer ganz traurig gemacht, denn ich bin sensibel. Wirklich. Die Dummheit der Menschen betrübt mich nämlich maßlos.

Aber vorgestern wurde ich endlich erhellt: Ich gehöre zu denen, die die Ansicht vertreten, daß das Demographieproblem in Deutschland, so wir denn eines haben, nicht durch den massenhaften Zuzug ungebildeter Wirtschaftsmigranten aus vollkommen anderen Kulturkreisen gelöst werden kann, sondern nur dadurch, daß man primär durch eine vernünftige Familienförderung die Deutschen selbst dazu motiviert, genügend eigene Kindlein in die Welt zu setzen. Zudem habe ich zwei deutsche Eltern und vier deutsche Großeltern. Und die evangelische Theologin Margot Käßmann hat gesagt, daß, wenn jemand anstelle einer Massenzuwanderung eine höhere Geburtenrate der Deutschen favorisiert, also eine Konstellation, in der Kinder zwei deutsche Eltern und vier deutsche Großeltern haben, dies der Doktrin des „kleinen Arierparagraphen der Nationalsozialisten“ entspräche. Womit dann auch klar sei, „woher der braune Wind weht“, im Klartext: Wo die Nazis sitzen. Sagt Frau Käßmann. Als evangelische Theologin. Und da die Kirche bekanntlich Moral, Wissen und christlichen Wertekanon gepachtet hat muß sie ja wohl recht haben. Zumindest, wenn, wie bezüglich der Frau Käßmann gelegentlich kolportiert wird, Alkohol im Spiel ist, denn Besoffene und Kinder sagen bekanntlich die Wahrheit.

Also muß ich ein Nazi sein. Erschwerend kommt hinzu, daß ich nicht nur oben zitierte verwerfliche Ansicht vertrete und zwei deutsche Eltern sowie vier deutsche Großeltern in meinem Stammbaum habe – nein, es ist noch viel schlimmer: ich habe acht deutsche Urgroßeltern, sechzehn deutsche Ur-Ur-Großeltern, zweiunddreissig deutsche… OH GOTT! Das reicht sogar locker für den großen Ariernachweis! Ich muß also schon quasi genetisch bedingt ein Erznazi sein. Nicht zu fassen!

Na gut, im 13. Jahrhundert haben sich bei uns heimlich ein paar Dänen, und später noch einige Österreicher in die Familie gemogelt. Aber die fallen ja angeblich auch unter die Arier. Zu allem Überfluß müssen meine Altvorderen sämtlichst verstockte Nazis gewesen sein – ideologisch so gefestigt, daß unsere Familie Gerüchten zufolge sogar den einen oder anderen Polen locker verkraftet hat. Denn sie alle haben dann fleißig deutsche Kinderchen in die Welt gesetzt, die ihrerseits alle Deutsche geheiratet haben, die ihrerseits… Äh… Moment! Fast alle! Bis auf mich! Meine Frau ist nämlich Chinesin! Jetzt wird’s schwierig!

Frau Käßmann! Bitte raten Sie mir im Interesse meines Seelenheils – was soll ich tun? Meine Frau möchte ihren Nazi gern behalten wie er ist – sie ist recht zufrieden mit ihm. Außerdem teilt sie meine Ansichten voll und ganz – ist sie jetzt auch ein Nazi? Zugegeben, sie würde nicht mal den kleinen Ariernachweis erhalten, aber vielleicht könnte man sie zur Ehrenarierin ernennen? Oder bin ich jetzt gar kein Nazi, weil ich mit einer Chinesin verehelicht bin? Können Chinesen möglicherweise schon abstammungsbedingt gar keine Nazis sein, auch wenn sie aus voller Überzeugung AfD-Positionen teilen? Besteht für mich eventuell noch Hoffnung auf Teilhabe an der göttlichen Gnade, weil ich den familiären Teufelskreis durchbrochen und eine Ausländerin geheiratet habe? Frau Käßmann – jetzt bin ich wieder verwirrt. Könnten wir uns nicht mal zusammen setzen, mit eine Fläschchen Rotwein vielleicht? Oder besser gleich zwei? Im Wein soll doch die Wahrheit liegen…! Bitte erleuchten Sie mich…!